Kühlschrank-Konflikt in der Wörther Straße: Im Erdgeschoss eines Eckhauses brummt die Anlage eines Geschäfts so laut, dass die Mieter nicht mehr schlafen können. Sie verklagen den Eigentümer, die Gewobag.
Das ist die Geschichte von Chiapudding, Tiefkühlschränken, Tinnitus und einem Gerichtsverfahren. Es ist die Geschichte von Heidrun Tangerding und Tim Schneider, die eigentlich gar nichts gegeneinander haben und sich trotzdem nicht einig werden. Es ist die Geschichte eines jungen Unternehmers mit einer kreativen Idee und den ungeahnten Folgen für seine Umgebung. Und es ist eine Geschichte, die kaum exemplarischer sein könnte für das, was es bedeutet, heute in Prenzlauer Berg zu leben.
Seit Mitte Januar gibt es den Tiez-Laden in der Wörther Straße 19. Der 24-jährige Gründer Tim Schneider hat sich mit dem Geschäft seinen Traum vom eigenen Laden verwirklicht. Das Konzept: Ein Convenience Store, in dem es alles gibt, was man so braucht – und zwar zu (fast) jeder Tageszeit. Gemünzt auf Prenzlauer Berg im Jahr 2017 bedeutet das: Biowaren, Kaffee, Tabak und Bier – eine Mischung aus Biomarkt, Späti und Café. Sogar selbstgebackenes Brot und Kuchen gibt es, frisches Obst und Gemüse, Salate und natürlich Chiapudding. Von 7 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts ist der Tiez-Laden geöffnet. Was ist schon groß gegen so einen Laden einzuwenden, möchte man denken – außer vielleicht, dass er das Klischee vom Bionade-Biedermeier bedient?

Tim Schneider ist Gründer des Tiez-Ladens in der Wörther Straße 19
Tinnitus und Schlaflosigkeit
Für Heidrun Tangerding gibt es da allerdings Einiges einzuwenden. Sie wohnt seit 17 Jahren mit ihren drei Söhnen in der Wohnung im ersten Stock, direkt über dem Geschäft. Früher war dort ein Lampenladen, der habe aber bei der letzten Mieterhöhung aufgegeben. Am 3. Januar gingen unten die Kühlschränke an, erinnert sich Tangerding genau. Seit diesem Tag hat die 50-Jährige nach eigenen Aussagen keine Nacht mehr durchgeschlafen. Die vielen Kühlregale und Tiefkühlschränke machten so viel Lärm, dass sie einen Tinnitus bekommen habe. 35 bis 40 Dezibel habe sie mit einem Messgerät gemessen. Das sind zehn bis 15 Dezibel über dem zulässigen Wert.
Und in der Tat: Wenn man direkt im Laden steht, steigt die Kühl-Geräuschkulisse in die Ohren. Das Probehören im Zimmer von Tangerdings mittlerem Sohn Bruno ergibt: Die Kühlschränke sind deutlich hörbar, ein dumpfes Brummen, begleitet von höheren Rasselgeräuschen. Ein typisches Kühlschrankgeräusch – nur eben nicht von einem, sondern von über zehn großen Gewerbekühlschränken. Das kann schon beim Einschlafen stören. Sie und ihre Söhne sind nicht die einzigen Mieter, die sich von dem Laden gestört fühlen. Bis in den dritten Stock sei das Kühlschrankbrummen zu hören, erzählt Tangerding.
Schlafen auf der Therapie-Couch
Inzwischen schläft Tangerding so gut wie überhaupt nicht mehr in der Wohnung, sondern übernachtet auf der Couch ihrer eigenen Psychotherapie-Praxis in Weißensee. Die Söhne schlafen mit Kopfhörern und Musik auf den Ohren. „Sogar mein jüngster Sohn hat jetzt einen Tinnitus, obwohl er für den Laden ist“, sagt Tangerding. Auch sie habe eigentlich nichts gegen den Laden und ihren Gründer. „Er hat ja den Laden in der Annahme gemietet, dass er ihn dort auch so betreiben kann“, sagt Tangerding.
Es ginge nicht gegen den Laden, das werde immer gesagt, sagt Tim Schneider. Aber wenn dann ständig die Polizei und das Ordnungsamt gerufen würden, um Vorschriften zu kontrollieren, oder wegen lauten Menschen auf der Straße, die gar nichts mit dem Laden zu tun haben, dann werde es eben doch irgendwie persönlich. All das sei schon so oft vorgekommen. Schneider fühlt sich von den Hausbewohnern schikaniert und hält die Lärmempfindlichkeit der Prenzlauer Berger wiederum für ein Klischee.

Und so sieht der Tiez-Laden von außen aus
Gebäude hat keine Lärmdämmung
Die Schuld für die Misere liegt für Heidrun Tangerding bei den Hauseigentümern, der landeseigenen Gewobag. Die hätte den Laden nicht an einen Gastronomiebetrieb vermieten dürfen, weil der Altbau keine entsprechende Lärmdämmung hat. „Wir konnten bei unseren Besichtigungen keine Geräusche im Haus feststellen und haben deshalb den Mietern und auch dem Gewerbemieter geraten, durch das Umweltamt eine Messung durchführen zu lassen“, sagte Gewobag-Sprecherin Gabriele Mittag den Prenzlauer Berg Nachrichten. Das Amt kam, lauschte – und maß nur 24 Dezibel. Gerade so im gesetzlichen Rahmen also. Eine amtliche Messung muss allerdings beim betreffenden Gewerbetreibenden angekündigt werden. „Am Tag der Messung waren die Geräusche viel leiser“, ist Tangerding sich sicher.
Streit geht vor Gericht
Die Anwohnerin hat gegen die Gewobag Klage eingereicht, beim Amtsgericht Mitte ist sie bereits eingegangen, wie Gerichtssprecherin Annette Gabriel bestätigte. „Ich will einfach nur wieder in meiner Wohnung schlafen können“, sagt Tangerding. Die Gewobag selbst sieht sich nicht in der Pflicht. „Wir haben den Gewerbemieter aufgefordert, seine Anlagen zu überprüfen und gegebenenfalls die Schallschutzmaßnahmen an den Wänden zu verstärken und auch die Decke gegen Schallübertragung zu isolieren“, sagte Gewobag-Sprecherin Mittag. Man habe um Antwort bis zum 23. Juni gebeten.
Tiez-Gründer Schneider fühlt sich durch die Lärmmessung rechtlich bestätigt. Er habe bereits alles getan, um den Lärm zu reduzieren. Ein besonders lauter Tiefkühlschrank sei umgebaut und weiter von der Wand entfernt worden. Den Laden jetzt noch auf eigene Kosten zu dämmen, sieht er nicht ein. „Seit das Umweltamt gemessen hat, sind die Beschwerden schon deutlich weniger geworden“, sagt Schneider. Er hofft, dass sich die Situation irgendwann von selbst beruhigt.
Wo Du schon mal hier bist…
…würden wir Dich gern um einen kleinen Gefallen bitten: Wir machen die Prenzlette aus Liebe zu unserem Stadtteil, weil wir glauben, dass guter Lokaljournalismus das Zusammenleben stärkt! Aber er kostet viel Zeit und harte Arbeit. Deswegen: Bitte unterstütze unsere Arbeit, werde jetzt Mitglied und sichere die Zukunft dieser Zeitung! Vielen Dank!