Worum geht's?
Ein Jugendlicher, der sich im Geschichtsunterricht erkundigt, was denn schlimm daran wäre, Flüchtlinge in Lager zu sperren?
Ein paar Jungs, die auf der Ferienfreizeit "Iihh, hier stinkt's" rufen, wenn Menschen mit ausländischen Wurzeln den Essensraum betreten.
Ein Mädchen jüdischen Glaubens, das von drei Mitschülern auf dem Schulhof zum Hitlergruß gezwungen wird.
Das alles ist nicht irgendwo passiert, sondern unter Schüler:innen aus Prenzlauer Berg und den umliegenden Kiezen.
Für sich genommen sind das einzelne Geschichten, dokumentiert von Jugendlichen, deren Eltern und Lehrer:innen. Doch in der Masse stellt sich die Frage, wie normal rechte Umtriebe unter Jugendlichen bei uns sind? Die Recherche zeigt: Das ist ein zunehmendes Problem.
Warum ist das wichtig?
Die Wahlberechtigten in Prenzlauer Berg haben zuletzt mit überwältigender Mehrheit links und grün gewählt. Doch Gespräche mit Jugendlichen zeigen, dass wir hier nicht abgekoppelt vom generellen Rechtsruck in Deutschland existieren.
Ob unsere Kinder mit Holzspielzeug oder Plastik spielen, können wir noch beeinflussen. Doch was genau im TikTok-Feed oder dem Klassenchat abgeht, wissen die meisten Eltern nicht.
Blick in die Statistik
In Pankow ist die Zahl der bei der Polizei angezeigten rechtsextremen Vorfälle an Schulen von 6 im Jahr 2021 auf 17 im vergangenen Jahr gestiegen. In ganz Berlin hat die Berliner Polizei nur in Marzahn-Hellersdorf ebensoviele Fälle registriert. Berlinweit waren es 104, 7 davon sind im digitalen Raum, also in sozialen Medien oder Chatgruppen.
Um welche Art von rechten Umtrieben es geht, lässt sich im Berliner Register nachvollziehen. Es dokumentiert diskriminierende und rechte Vorfälle, auch wenn diese keine Straftaten darstellen oder nicht bei der Polizei angezeigt wurden. Dort verzeichnet sind Hakenkreuze auf dem Schulklo, rassistische Beleidigungen eines Schwarzen Kindes und immer wieder Aufkleber der rechtsextremen Kleinstpartei "III. Weg" und ihrer Jugendorganisation "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ), die gezielt im Umfeld von Schulen aktiv sind.
Generell muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffen in dem Bereich sehr hoch ist, auch weil Jugendliche andere Jugendliche nicht in die Pfanne hauen wollen. So wurde mir bei meiner Recherche etwa von der Existenz eines Videos berichtet, das Schüler:innen aus dem Kiez beim Hitlergruß zeigen soll. Als es darum ging, es mir als Journalistin zugänglich zu machen (nur als Hintergrundinfo, nicht zur Veröffentlichung), kam jedoch der Rückzieher meiner Quelle, weil auch eine Freundin auf dem Video zu sehen sei.
Bericht einer Betroffenen
Die Mutter, mit der ich spreche, möchte ihren Namen lieber nicht öffentlich nennen. Ihre Familie ist jüdischen Glaubens. Ihre Tochter hat in ihrer bisherigen Schulzeit mehrfach Antisemitismus erlebt.
Als Viertklässlerin wurde sie immer wieder von drei Mitschülern genötigt, den Hitlergruß zu zeigen. Erst nach zwei Wochen traute sie sich, das zu Hause zu erzählen. "Die Kinder hatten das in ihrem Umfeld aufgeschnappt. Darauf angesprochen, konnten sie gar nichts erklären", berichtet die Mutter. Ihre Tochter habe das sehr mitgenommen, zumal sie in Folge der Aufarbeitung durch die Schule, die gleich einen Stolperstein-Termin ansetzte, erstmals wirklich verstanden habe: "Im Dritten Reich hätte man mich töten wollen".
Mittlerweile geht die Tochter auf eine weiterführende Schule. Dort tauchten vor ein paar Wochen rassistische und antisemitische Aussprüche und Gesten im Klassenchat auf. Die Schule hat schnell und klar reagiert, Anzeigen gestellt und Schüler:innen suspendiert.
"Die Kinder sind nicht radikalisiert, sondern völlig unreflektiert", meint die Mutter. Bei der U18-Wahl anlässlich der Bundestagswahl habe die AfD an der Schule keine einzige Stimme bekommen.
An der psychischen Belastung für die ganze Familie ändert das nichts.
Einschätzung eines Lehrers
Stephan Riemann ist Lehrer für Geschichte und Politik und hat bis zum vergangenen Jahr am Heinrich-Schliemann-Gymnasium unterrichtet und dort u.a. eine Schulfahrt nach Auschwitz organisiert.
In seinem Prenzlauer Berger Schulalltag begegneten ihm immer wieder provokante Fragen wie "Warum ist es falsch, Rechte von Flüchtlingen einzuschränken und sie in Lagern einzusperren?" So kamen ihm auch Parolen unter, die direkt aus dem AfD-Wahlprogramm zu stammen schienen.
"Die Jugendlichen plappern einfach nach, was ihnen die rechten Heinis bei TikTok vorsprechen", meint der Lehrer. Als besonderes Problem diagnostiziert er die fehlende Medienkompetenz der jungen Menschen. "Der Prozess der Meinungsbildung läuft über YouTube, TikTok und ChatGPT. Google spielt keine Rolle. Viele haben überhaupt keinen Kontakt zu journalistischen Inhalten." Hinzu käme, dass die Geschichte des Dritten Reichs oft erst in der zehnten Klasse auf dem Lehrplan stehe.
Wer nichts weiß, kann auch kein Problembewusstsein entwickeln.
Einschätzung einer Expertin
Anna Schmidt arbeitet bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Diese klärt etwa die Lehrerschaft darüber auf, wie sie rechte Jugendkultur und deren Codes überhaupt erkennt. Springerstiefel waren gestern. Heute können auch Rapper mit einem kotzenden Einhorn auf dem Plattencover rechts sein.
„Hakenkreuze sind an Berlins Schulen gang und gäbe, ein Klassiker", sagt sie. Provozierende Nachfragen, wie sie Lehrer Riemann kennt, hält auch Schmidt für ein typisches Phänomen der Innenstadtviertel. Rechte Gewaltbereitschaft fände man hingegen eher in den Randbezirken.
„Jugendliche haben in der Regel kein gefestigtes rechtes Weltbild. Aber sie sind beeinflussbar", sagt Schmidt.
Aus diesem Grund kann man die Aktivitäten der Kleinstpartei "III. Weg" nicht ernst genug nehmen, deren Präsenz im direkten Umfeld Pankower Schulen auch das Berliner Register immer wieder dokumentiert.
Die Partei bietet den Jugendlichen niedrigschwellige Anknüpfungspunkte. Das können Kampfsport- und andere Freizeitangebote sein, die ein Gefühl von Gemeinschaft versprechen, oder auch Themen wie Umwelt- und Naturschutz, die Prenzlauer Berger Jugendlichen oft von Zuhause vertraut sind.
Lokale Produkte? Kurze Lieferketten? Klingt nach Fridays for Future, kann aber auch, nationalistisch und rassistisch aufgeladen, das Tor zur rechtsextremen Ideologie öffnen.
Als weiteren Brandbeschleuniger sieht auch Anna Schmidt die sozialen Medien: "Im Internet finden Sie immer den passenden Resonanzraum. Ist man einmal mit rechtem Gedankengut in Kontakt gekommen, passt sich der Feed entsprechend an."
Was können Eltern tun?
Wer den Rechtsruck in Deutschland aufhalten möchte, kann im Kinderzimmer damit anfangen. Anna Schmidt von der MBR, Lehrer Stephan Riemann und die Berliner Polizei haben dafür ein paar Tipps.
Interesse zeigen, Medienkompetenz stärken
Der erste Schritt ist ein generelles Interesse und ein konkretes Angebot: "Zeig mir doch mal, was dir gerade wichtig ist" – bei Snapchat, Instagram oder YouTube. Und was läuft eigentlich den ganzen Tag auf dem Noise-Cancelling-Kopfhörer?
Ein zweiter Schritt ist es, nachzufragen: "Kennst du den Unterschied zwischen TikTok und Tagesschau?" Kinder und Jugendliche verbringen mittlerweile wahnsinnig viel Zeit mit Medien, haben aber wenig Kompetenzen, Inhalte für sich einzuordnen.
Wissenslücken füllen, Werte vermitteln
Ist den jungen Menschen bewusst, was sie da tun und aussagen, wenn sie Hitler grüßen oder Hakenkreuze versenden? Das gilt es erst einmal abzuklären. Eltern können Wissen und Kontext ergänzen und ihre eignenen Werte vermitteln. Helfen kann dabei ein Appell an die Empathie: Wie würdest du dich fühlen, wenn...?
Wer überhaupt eine Chance haben möchte, durchzudringen, sollte sich um eine offene Gesprächsatmosphäre auf Augenhöhe bemühen, aber in der eigenen Haltung ganz klar sein.
Vernetzen und problematische Strukturen aufdecken
Der Einzelfall wird gerne abgetan. Aber so übersieht man leicht, wo sich problematische Strukturen entwickeln. Dagegen hilft, für das Thema sensibel zu sein und aktiv in den Austausch zu gehen, mit anderen Eltern, Lehrkräften oder den Trainer:innen aus dem Sportverein.
Gute Freizeitangebote machen
Apropos: Der "III. Weg" füllt nur bestehende Lücken, die in Berlin auch durch das ständige Sparen entstehen, zum Beispiel im Jugendfreizeitbereich.
Weiterführende Angebote
- Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) bietet praktische Wissensvermittlung und Beratung an für Schulen, Lehrkräfte, Eltern und Schüler:innen.
- Die Polizei Berlin kooperiert stadtweit mit Schulen und schickt Expert:innen, um präventiv oder anlassbezogen über Gewalt oder politische Straftaten zu sprechen. In Prenzlauer Berg gab es zwischen Januar 2024 und Februar 2025 zwölf derartige Aktionen. Eine Übersicht über alle Präventionsangebote findet sich hier.
- Konkrete Angebote macht auch das Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage".
- In Pankow ist in dem Bereich die Fach- und Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus "Moskito" aktiv.
- Das Berliner Register dokumentiert Diskriminierungen und rechte Aktivitäten. Wer selbst einen Vorfall melden möchte, alternativ oder zusätzlich zur Anzeige bei der Polizei, kann das auf der Website tun.
- Wie man Kindern auch schwere Themen wie den Holocaust altersgerecht vermittelt, steht in diesem loky*-Artikel aus dem vergangenen Jahr.
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