In der Thulestraße soll ein riesiger Wohnkomplex hochgezogen werden. Anwohner sind entsetzt, ein Bezirksverordneter fragt beim Bezirksamt nach. Die Antwort: weitgehendes Schulterzucken.
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ARTIKEL vom 03.07.2017:
Gut, es ist ja eigentlich nicht Prenzlauer Berg. Doch manchmal werfen wir unsere strenge redaktionelle Richtlinie – Nicht-über-die-Ortsteilgrenze-hinaus – über Bord. Gerade, wenn es um mehrere hundert neu entstehende Wohnungen in wenigen hundert Metern Luftlinie von der Ortsteilgrenze entfernt geht. Mit potenziell etwa 1.000 Bewohnern, deren Leben sich vermutlich auch, wenn nicht zum Großteil, in Prenzlauer Berg abspielen wird.
Im vergangenen Jahr erwarb die Münchner Grund Bauträger GmbH zwei benachbarte Liegenschaften in der Thulestraße 54-64, unter anderem auf dem Gelände der ehemaligen Engelhardt-Brauerei. Dort, zwischen Tal- und Neumannstraße, sollen nach Aussage eines Mitarbeiters 520 Wohnungen entstehen. Laut Konzeptbeschreibung des Eigentümers sind in „sechs identischen Wohngebäuden mit moderner Fassadenoptik aus bodentiefen Fenstern, Sichtbeton und Holzverkleidungen“ etwa 396 Eigentums- und Mietwohnungen geplant. Und auch der Rest klingt nicht unbedingt nach Sozialbau: „Hochwertige Parkett- (Eiche) und Fliesenböden in allen Wohnungen, Bad- und Küchenausstattung mit Marken führender Hersteller, Privatgärten, Dachterrassen, großflächige Fensterverglasung, Holzfenster“, um nur einige Features zu nennen. Zusätzlich soll ein Kompaktbau mit 155 Mikroapartments entstehen. Wer mitgerechnet hat: Das sind zusammen mehr als 520 Wohnungen – die Planung scheint noch nicht abgeschlossen.
Mehr als doppelt so viele Wohnungen wie 2016 empfohlen
Pikant: Das Wohnbaukonzept Pankow vom Juni 2016 bescheinigt dem Standort ein Wohnbaupotential von nur 234 Wohneinheiten, gar mit „geringer Eignung“. Zu dieser Differenz stellte der Bezirksverordnete der SPD Mike Szidat unlängst eine Kleine Anfrage, für deren Beantwortung sich das Bezirksamt allerdings noch etwas Zeit erbat. Den Prenzlauer Berg Nachrichten gegenüber ließ der grüne Stadtrat für Stadtentwicklung Vollrad Kuhn bereits verlauten, die Erkenntnisse aus dem Wohnbaukonzept flössen nur dann in den Planungsprozess ein, wenn ein Bebauungsplan aufgestellt wird. Dies sei hier aber nicht der Fall. Da das Grundstück in einem Ortsteil liege und dem Innenbereich zugeordnet werde, sei ein solcher Plan nicht zwingend erforderlich.
Die Sorge um die fehlende Infrastruktur indes brachte auch die Anwohner Mariana Schürmann und Sebastian Spiewok bis in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am vergangenen Mittwochabend, wo sie zwei Einwohneranfragen an Stadtrat Kuhn richteten. „Wie soll der zu erwartende Betreuungsbedarf von Kitakindern bei Neuzuzug von Familien gedeckt werden?“, steigt Schürmann angesichts des Wegfalls von 65 Kitaplätzen der ehemaligen Kita „Wichtelhaus“ in der Thulestraße 48 ein. Auch was die Grundschulplatzsituation angeht, sieht sie schwarz für zuziehende Kinder im Einzugsgebiet der Trelleborg-Grundschule, die vor zwei Jahren um 80 Plätze aufgestockt wurde. „Eine weitere Aufstockung scheint aufgrund der baulichen Gegebenheiten nicht möglich. Und die umliegenden Grundschulen können kaum noch zusätzliche Kinder aufnehmen“, beklagt sie.

Aus dem Wohnbaukonzept Pankow vom Juni 2016 (Quelle: Bezirksamt Pankow von Berlin,
Abt. Stadtentwicklung)
Im weiteren Verlauf erinnert die Anwohnerin an das Fehlen größerer Spielplätze – das Wohnbaukonzept von 2016 bescheinigt dem Standort bereits eine Unterversorgung von 19.000 Quadratmetern Spielfläche – sowie eines Konzeptes zur Verkehrslenkung, schon jetzt überfüllte Straßenbahnen und Busse und trotz geplanter Tiefgarage an ein voraussichtliches Defizit von 250 fehlenden Parkplätzen. Wohl der größte Vorwurf Schürmanns, die seit 2012 in der Neumannstraße wohnt, richtet sich aber an die Art und Weise, wie derartige Bauvorhaben an der Bevölkerung vorbeigeplant würden. „Eine Einbindung der Anwohner und Maßnahmen zur Entwicklung der Infrastruktur erfolgten nicht“, kritisiert sie. „Uns als Anwohnern ist unklar, warum ein derart großes, das Wohngebiet stark veränderndes Bauprojekt nicht öffentlich zur Diskussion gestellt wurde.“
Die Antwort von Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke), der sie in Vertretung des entschuldigten Kuhns verliest, fällt angesichts der komplexen Fragestellung knapp aus. Die Anbindung an das öffentliche Straßennetz sei ausreichend, die mittelfristige Ausweitung des öffentlichen Verkehrsnetzes obliege den Berliner Verkehrsbetrieben. „Eine Verordnung, mit der Kfz-Stellplätze im Zuge von Neubauvorhaben herzustellen
sind, ist im Berliner Baurecht nicht enthalten“, so Benn weiter. Und für die Schließung der Kita in der Thulestraße 48 plane das Jugendamt einen Ersatzneubau in der Prenzlauer Promenade 149-152 mit 100 Plätzen. Das seien 35 Plätze mehr als in der alten Kita. Auch in den Grundschulen sehe das Bezirksamt noch Aufnahmekapazitäten, allerdings, fügt Benn an: Diese Einschätzung basiere auf Durchschnittswerten. Die reale Lage könne durchaus angespannter sein. Wie desolat die Situation in Pankow ist, zeigt auch die momentan brodelnde Diskussion um die Erweiterung und den Turnhallenneubau der Bornholmer Grundschule, vermutlich zu Lasten der nebengelegenen Kleingärten. Zu guter Letzt: Eine Beteiligung von Anwohnern sei bei einem solchen Bauvorhaben nicht vorgeschrieben. Unlängst sei dem Verwaltungsverfahrensgesetz allerdings ein Absatz eingefügt worden, demzufolge dem Planungsträger bei Bauvorhaben, die „nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf eine größere Zahl von Dritten“ haben können, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nahegelegt wird. Von dieser unverbindlichen Bestimmung habe die Münchner Grund keinen Gebrauch gemacht.
Bauträger zahlte eine immense Summe für das Areal
Dies bestätigt ein PR-Mitarbeiter des Unternehmens, zumindest indirekt. Er müsse sich da erstmal „schlaumachen“. Aber:“Hätte es von der Politik derartige Anforderungen gegeben, wären sie bei der Planung berücksichtigt worden.“ Zumindest zum Parkplatzproblem liefert die Münchner Grund aber Fakten: „Für die 520 Wohnungen planen wir 219 Stellplätze“, so der Mitarbeiter. Das würde erfahrungsgemäß ausreichen, da die Anzahl an Privat-PKWs kontinuierlich sinke.
Was auch dafür spricht, dass hier eher hochpreisige Wohnungen entstehen werden, ist der Umstand, dass die Münchner Grund für das Areal laut Buschfunk im Kiez eine schwindelerregende Summe auf den Tisch des Hauses gelegt haben muss. Sie stach damit die konkurrierende Mitbewerberin Smarthoming aus. Diese will sich dazu nicht ausführlich äußern. „Wir konnten die Finanzierung nicht schließen“, so eine Mitarbeiterin. „Das Projekt wird von Smarthoming also nicht realisiert.“ Was personell nur zum Teil stimmt, denn Geschäftsführung und Adresse der Firma sind identisch mit der von Zanderroth Architekten. Jenem Büro, das nun die Planung für die Münchner Grund, den ehemaligen Konkurrenten, übernommen hat – sie hatte diese ja bereits in der Schublade. Mit der Absage dürfte Smarthoming, die bereits mit Baugruppen kooperierte, nicht gerechnet haben, vermutet auch Mariana Schürmann. Aus einer Verkaufsveranstaltung von Smarthoming, an der sie interessehalber teilnahm, wisse sie, dass Leute schon Vorkaufsverträge gemacht und Kredite aufgenommen hätten. Diese haben nun das Nachsehen.
Bürgerinitiative in Planung?
Mit der Antwort des Bezirksamt auf ihre Anfrage sind Schürmann und Spiewok indes hochgradig unzufrieden. „Die haben uns nur verschaukelt“, so Schürmann, „haben zu nichts konkret Stellung genommen.“ Auf die Verkehrssituation sei gar nicht eingegangen worden, ebensowenig auf die Spielplatzversorgung. Doch sie wollen nicht aufgeben, hoffen auf die zeitnahe Beantwortung der Kleinen Anfrage Szidats und planen auch einen Besuch der Bürgersprechstunde bei Stadtrat Kuhn. Dann lächelt Schürmann ihren Mitstreiter verschwörerisch an: „Wir müssen wohl doch eine Bürgerinitiative gründen.“
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