Die Gustave-Eiffel-Schule besucht kaum jemand freiwillig. Drogen und Gewalt sollen hier an der Tagesordnung sein; manche sprechen von einem zweiten Rütli. Doch die Schule kämpft um ihren Ruf.
Christiane Zirbel öffnet Türen. Hinter einer ist ein kleines Fitnessstudio aufgebaut und ein paar Jungs stemmen Gewichte. Hinter der nächsten sitzen zwei Schülerinnen und lernen Spanisch, eine Tür weiter probt die Schulband. Dann gibt es da noch die Bibliothek, die Metallwerkstatt, die Schulküche, den Filmraum und natürlich die Grotte – der Schülerclub im Keller, in dem es sich zwischen Aquarien und alten Sofas in der Pause kickern und Billard spielen lässt.
An anderen Schulen in Prenzlauer Berg wird mittlerweile jede Besenkammer als Unterrichtsraum genutzt, um dem Schüleransturm Herr zu werden. Der Gustave-Eiffel-Schule hingegen mangelt es nicht an Raum. Was fehlt, sind die Schüler: auf 104 Plätze kamen zum laufenden Schuljahr nur 20 Anmeldungen. So unbeliebt war keine andere Schule im Bezirk.
„Das hier ist die Proll-Schule“
Einen Grund, woran das liegen könnte, liefert der erste Eindruck. Der Funktionsbau mit der bröckelnden Fassade liegt wie in einem Tal zwischen den Hochhäusern der Michelangelosiedlung hinter dem S-Bahnhof Greifswalder Straße. Die Asphaltdecke ist zerborsten, überall wuchert Unkraut, und die angrenzenden Hecken müssten dringend mal wieder zum Friseur. Ist das noch Prenzlauer Berg oder schon Bukarest? „Wir sind das letzte Haus der Gegend, dessen Fassade noch unsaniert ist. Für die Pflege des Hofs fehlt dem Bezirk das Geld“, sagt Schulleiterin Christiane Zirbel. Um vom Schülerclub, dem Filmraum, dem Fitnessstudio und all den anderen AGs und zusätzlichen Angeboten zu erfahren, die sich hinter der Fassade verbergen, müsste man die Gebäude schon betreten. Das versuchen die meisten aber partout zu vermeiden.
„Ich wollte auf keinen Fall hier hin“, sagt eine Schülerin, die ihre Pause auf den Stufen zum Schulgebäude verbringt. „Das hier ist die Proll-Schule.“ „Hier gibt es Drogen, ständig fahren Polizei und Krankenwagen vor“, meint ihre Freundin. „Viele Lehrer geben sich echt Mühe. Aber manche Schüler haben kein Benehmen. Die drehen sich im Unterricht Zigaretten und bewerfen die Lehrer mit Stiften.“
Auch von Elternseite hört man nichts Gutes. „Unter den Schülern wird gedroht, Mobbing ist an der Tagesordnung“, erzählt eine Mutter, deren Sohn die Schule besucht. Die Umgangsformen unter den Jugendlichen seien schlimm, Gewalt kein Tabu. „Es ist wie an der Rütlischule. Nur den Lehrern ist es noch nicht bewusst.“
„Unser Ruf ist sehr schlecht. Aber wir arbeiten daran“, sagt Zirbel.
Wie viel sind 16 Polizeieinsätze?
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Begonnen hat der Abstieg der Schule, die bis 2006 in der Kastanienallee in den Räumen der heutigen Sprachschule residierte, mit der Einführung der Sekundarschulen vor fünf Jahren. Als ehemalige Hauptschule hatte sie eh schon einen schweren Stand, und dann sollten auch noch sieben siebte Klassen in dem großen Gebäude unterkommen. Drei konnte die Schule mit den Anmeldungen selbst füllen. In die verbliebenen vier Klassen schickte der Bezirk all diejenigen, die sonst nirgendwo unterkamen. Eine brisante Mischung, die noch problematischer wurde, als Anfang des Schuljahres plötzlich sieben ursprünglich eingeplante Lehrer fehlten, weil sie Stellen mit Verbeamtung in Brandenburg gefunden hatten. „Wir waren unterbesetzt und hatten einige kriminelle Schüler. Seitdem glauben viele, bei uns würde in den Klassenräumen mit Drogen gedealt und Messerstechereien ständen auf der Tagesordnung. Dem ist aber nicht so“, meint Zirbel.
Seit Anfang des Jahres wurde die Polizei zu 16 Einsätzen an die Schule gerufen – Beleidigung, Körperverletzung und Diebstahl waren die Ursachen. „Natürlich ist jeder Einsatz einer zu viel“, heißt es aus der Pressestelle der Berliner Polizei. Besonders bemerkenswert will man diese Anzahl angesichts der fast 500 Schüler aber nicht finden.
Auffangbecken mit blöder Mischung
„Das ist nicht Rütli“, meint auch Kathrin Schulz, Vorsitzende des Bezirkselternausschusses in Pankow. Probleme mit Gewalt und Drogen gebe es mittlerweile an jeder Schule, und im Vergleich mit anderen Bezirken stände die Gustave-Eiffel-Schule noch gut da. Dennoch müsse man anerkennen, dass sie unter einem strukturellen Problem leide. „Die Eltern laufen zuerst zu den Platzhirschen. Manchmal reicht ein Artikel in der Zeitung, und schon werden einer Schule die Türen eingerannt. Die anderen Schulen werden dann mit Problemkindern aufgefüllt. Da hat man dann eine blöde Mischung.“
Tatsächlich ist die Gustave-Eiffel-Schule bis heute ein Auffangbecken für all diejenigen, die durch das Erfolgsraster unseres Schulsystems fallen – weil sie Probleme zu Hause haben. Weil sie niemand unterstützt. Weil sie jung sind und gerade einfach keinen Bock haben auf Algebra. „Die Kurt-Schwitters-Schule nimmt nur Schüler mit einem Durchschnitt von bis zu 2,3. Bei uns findet man auch mit einem Grundschul-Abschluss von 4,3 noch einen Platz“, erzählt Schulleiterin Zirbel.
Schule als Stigma
Aus dem gesamten Nordosten Berlins kommen die Jugendlichen mittlerweile – aus Reinickendorf, Hohenschönhausen und Friedrichshain. Hier ist ein Ort, der sie aufnimmt, wenn niemand sonst sie haben will, könnte man sagen. Hier werden sie gettoisiert, ist eine andere Lesart. „Für viele ist es wie ein Stigma, dass sie hier zur Schule gehen“, sagt eine Lehrerin.
Wer mit den Schülern spricht, bekommt immer sehr ähnliche Antworten. „Es ist schlimm“, sagen sie. „Hier gibt es Gewalt“, „Manche nehmen Drogen.“ Ja, der Ruf ihrer Schule sei schon gerechtfertigt. Allerdings sind es immer andere, die aktiv dazu beitragen. „Die Schule ist nicht das Problem, es sind die Schüler“, bringt es ein Junge auf den Punkt. „Für die Anwohner sind wir ein Schandfleck. Gerade haben sie den Zaun erhöht und das Tor zugemacht, damit wir nicht mehr durch ihr Wohnviertel laufen. Die wollen uns nicht“, sagt ein anderer.
Dies ist das Selbstbild, mit dem die Kinder der Gustave-Eiffel-Schule aufwachsen.
Dabei passen die Berichte von der Gewalt und den Drogen nicht zu dem Eindruck, den man an einem Vormittag von der Schule bekommt. Weder die Schüler, die in ihrer Pause mit der Sozialarbeiterin Loom-Bänder knüpfen, noch diejenigen, die Gewichte stemmen, und auch nicht diejenigen, die einfach auf dem Hof herumstehen, wirkten gemeingefährlich.
Wirklich erschreckend ist nur die Erkenntnis, wie abhängt und unerwünscht sich viele von ihnen fühlen. Ich bin an einer Loser-Schule, weil ich ein Loser bin, und es ist eine Loser-Schule, weil zu ihr nur Loser gehen.
Wer es akademischer ausdrücken möchte, kann auch mit Sein, Bewusstsein und Hegel argumentieren.
70 Prozent Sozialarbeit / 30 Prozent Lernen
Dabei bemüht sich die Schule seit Jahren, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Zuletzt wurde das sogenannte Mittagsband eingeführt – eine 80-minütige Mittagspause, die den von 8 bis 16 Uhr laufenden Ganztagsbetrieb zerschneidet. In ihr werden den Schülern die verschiedensten Aktivitäten angeboten werden, vom Fitnesstraining über Gärtnern bis hin zur Prüfungsvorbereitung. „Wir machen 70 Prozent Sozialarbeit und 30 Prozent das, was man sonst so macht“, meint Christiane Zirbel. Dabei werden noch gute Leistungen erzielt: 44 Prozent der Jugendlichen haben im Sommer ihre Schule mit einer Gymnasialempfehlung verlassen. Der Pankower Durchschnitt lag bei 37 Prozent.
Doch der schlechte Ruf, der bleibt. Manche fordern deshalb, die Schule ganz aufzulösen, vielleicht auch den Standort zu wechseln und mit einem neuen Kollegium noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Doch davon hält Zirbel nichts. „Das würde die letzte Struktur, die viele unserer Kinder noch haben, zerstören“, meint sie. Eine Chance sieht sie hingegen in der Einführung einer gymnasialen Oberstufe, die am Standort bislang nicht angeboten wird. Die Entscheidung darüber liegt jedoch bei der Senatsverwaltung für Bildung. Die Anfrage, ob das denkbar wäre, blieb leider bislang unbeantwortet.